Im Gespräch mit Dr. Marco Einhaus

„Montagen sollen sicher und wirtschaftlich sein“

Dr.-Ing. Marco Einhaus ist bei der DGUV/BG BAU in München für die Sicherheit im Hochbau zuständig. Stefanie Manger hat ihn zu häufigen Unfallursachen auf den Baustellen befragt. Zudem wird es in Kürze für die Sicherheitstechnik eine Änderung geben: Die notwendige Harmonisierung der Arbeitsschutzvorschriften in Europa sorgt dafür, dass Absturzsicherung künftig ab einer Fallhöhe von zwei Metern nötig wird. Im Bereich Dach ist bislang die Fallhöhe drei Meter Vorgabe, im Bereich Fensterbau fünf Meter.

metallbau: Wer ist zuständig für den Arbeitsschutz auf der Baustelle?

Marco Einhaus: Wird ein Unternehmer beauftragt, hat er in diesem Kontext die Verantwortung, dass seine Belegschaft die Unfallverhütungsvorschriften (UVV) einhält. Er ist für die Arbeitssicherheit seiner Mitarbeiter auf der Baustelle in vollem Umfang zuständig.

metallbau: Die Kosten für die Sicherheitsausstattung werden im Rahmen des Leistungsverzeichnisses über den Bauherren abgerechnet?

Einhaus: Der Unternehmer ist gefragt, die Leistungsverzeichnisse möglicherweise entsprechend der Gefährdungsbeurteilung zu ergänzen und dafür Sorge zu tragen, dass alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen (wie z.B. Gerüste) aufgeführt sind. Da der Unternehmer gegenüber seinen Mitarbeitern in der Haftung ist, kann er sich nicht einfach auf die Angaben des Bauherren oder des Architekten verlassen.

metallbau: Herr Einhaus, Sie sind selbst Stahlbauer und bei der BG Bau für den Hochbau zuständig. Welche Erfahrungen haben Sie bei der Überwachung von Baustellen gemacht?

Einhaus: Im Hochbau, vor allem beim Bau von Skyscrapern, sind die Arbeitsbedingungen zweifach gefährlich: Zum einen können Personen herunterfallen, zum anderen sich Gegenstände vom Kran lösen und sowohl für Bauarbeiter als auch für Passanten oder PKWs zur Gefahr werden. Der Bauherr beziehungsweise Grundstückseigentümer ist für die Verkehrssicherungspflicht verantwortlich, dies wird hin und wieder übersehen. Die Unternehmer sind in der Pflicht, frühzeitig die Sicherheitsmaßnahmen zu planen und in den Leistungsverzeichnissen zu verankern. Der Unternehmer schafft auch die persönliche Schutzausrüstung für seine Mitarbeiter an. Werden etwa Arbeitsschuhe S3 benötigt, dann sind diese nicht im Leistungsverzeichnis gelistet, dort wird ein Gesamtvolumen für den Arbeitsschutz benannt. Konkret gelistet werden hingegen Anschlagpunkte, Absturzschutzsysteme oder Auffangnetze.

metallbau: Spielen die Kosten für die Arbeitssicherheit eine Rolle im Preiskampf um den Auftrag?

Einhaus: Arbeitsschutz ist rechtlich vorgeschrieben und macht Sinn – Gerüste, Auffangnetze lassen sich nicht wegsparen. Lieber kostengünstige Leitern anstatt Gerüste und Auffangeinrichtungen einzusetzen – sowas geht nicht wirklich. Der Unternehmer ist dafür verantwortlich, dass am Abend seine Monteure wohlbehalten zu ihren Familien zurückkehren. Langfristig verliert jeder Unternehmer, wenn er bei der Sicherheitstechnik knausert – da geht es nicht nur um Unfälle der Mitarbeiter, sondern auch um Bauverzug. Stellen sie sich vor, wir legen im Rahmen einer Baustellenüberwachung einen halben Tag lang, weil Schutzeinrichtungen fehlen, die Baustelle still. Diese Kosten sind nicht unerheblich, wenn 50 bis 100 Monteure gezahlt werden müssen, aber wegen der Sicherheit fünf Stunden nichts arbeiten können. Rechnen Sie das mal durch!

metallbau: Die BG Bau führt regelmäßig Beratung und Überwachung durch?

Einhaus: Ja, natürlich. Inzwischen haben die Unternehmer dazugelernt. Viele fragen vorab an, welche Maßnahmen notwendig sind. Das heißt, die Fachkräfte für den Arbeitsschutz überlegen aus präventiver Sicht Konzepte für eine sichere Montage und schreiben gemeinsam mit dem Unternehmer für das Leistungsverzeichnis die nötige Sicherheitstechnik aus. Vor allem Metallbauunternehmer mit bis zu zehn Mitarbeitern sind da häufig überfordert und brauchen Rat.

metallbau: Ist der Rat der BG Bau für die Gefährdungsbeurteilung kostenfrei?

Einhaus: Ja, dafür sind wir da. Wir unterstützen bei der Planung von Sicherheitseinrichtungen und geben Hinweise, welche Vorschriften sich wie umsetzen lassen.

metallbau: Wer ist auf der Baustelle für das Einhalten der Sicherheitsvorschriften zuständig?

Einhaus: Nach dem Gesetz ist dies der Bauherr. Allerdings holt sich dieser bei mittleren bis größeren Bauvorhaben einen Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator nach Baustellenverordnung mit ins Boot. Dieser ist Bindeglied zwischen Bauherr und Unternehmer – er wird beauftragt und bezahlt vom Bauherrn. Auf der Baustelle ist er dafür zuständig, dass die Maßnahmen, die der Bauherr bezahlt, auch umgesetzt werden. Teilen sich beispielsweise Metallbauer und Dachdecker ein Gerüst, regelt der Koordinator für beide Gewerke die Terminplanung. Welches der Gewerke das Gerüst mit auf die Baustelle bringt, wird im Leistungsverzeichnis festgelegt. Allerdings gibt es in der Praxis den Koordinator leider nur auf größeren Baustellen. Auf kleineren Baustellen, auf denen gehäuft kleinere Unternehmen tätig sind, ist deshalb die Unfallgefahr meist größer.

metallbau: Was sind denn die Unfallrisiken auf der Baustelle?

Einhaus: Solange der Montageablauf nach Plan verläuft, ist die Unfallgefahr normalerweise gering. Wird aber beispielsweise ein falsches Bauteil geliefert, und ein Gerüst muss deswegen frühzeitig abgebaut werden, an anderer Stelle aufgebaut und schließlich noch mal abgebaut und aufgebaut werden, verlieren die Aufsichtsführenden schon mal den Überblick. Änderungen im Bauprozess erhöhen die Unfallwahrscheinlichkeit.

metallbau: Was sind die häufigsten Ursachen für Baustellenunfälle?

Einhaus: Ganz oben rangiert die Unkenntnis in Sachen Sicherheitstechnik. Das ist die häufigste Ursache. Der Gewöhnungseffekt ist auch gefährlich. Monteure sind an Wind, Wetter und Höhen gewöhnt. Das ist das Schlimmste. Sie laufen auf den Stahlträgern herum, als ob sie fliegen könnten. Ich stelle das immer wieder im Hochbau fest. Wenn die Stahlbauer tagelang in der Höhe im Freien herumlaufen, glauben die tatsächlich, dass sie fliegen können. Mein Vortragsmotto lautet daher: „Glaub bloß nicht, dass du fliegen kannst.“ Sie realisieren nicht mehr die Gefahr. Solange man sich an die Arbeitsbedingungen gewöhnen muss, ist man vorsichtig, aber die Wachsamkeit und der nötige Respekt vor der Arbeitsaufgabe schlafft von Tag zu Tag ab.

metallbau: Wie hoch sind denn die Unfallzahlen in Deutschland?

Einhaus: 2012 wurden in Deutschland 60 gewerbliche Absturztote gemeldet, darunter sind auch einige Metallbauer. Die Zahl ist erschreckend. Die gewerblichen Absturzunfälle, nach denen die Bauarbeiter eine Rente oder Teilrente beziehen, sind im vierstelligen 1.000er-Bereich. Absturz beginnt in den meisten Statistiken ab einem Meter.

metallbau: Was sind denn die häufigsten Mängel, die Sie auf der Baustelle feststellen?

Einhaus: Bei den technischen Maßnahmen fehlen meist Auffangnetze, Seitenschutz und Umwehrungen. Organisatorische Fehler betreffen vor allem den Einsatz von Personal. Beispielsweise Personal, das an die Arbeit in der Höhe nicht gewöhnt ist.

metallbau: Wie funktioniert da die Gruppendynamik bei so einem Montagetrupp im Hochbau?

Einhaus: Bei zehn Monteuren gibt es immer einen Risikojunkie. Er macht prinzipiell alles ohne Sicherheitstechnik, ihm passiert meistens auch nichts. Er hat das Feeling. Herunterfallen tut der vierte oder fünfte Mitarbeiter im Trupp – manchmal beide. Der Junkie kontrolliert den zweiten und dritten, danach wird es gefährlich. Der vierte hat schon Angst bei der Arbeit und der fünfte fällt dann tatsächlich. Der Rest der Truppe umgeht meistens intuitiv die risikoreichen Arbeiten.

metallbau: Wird denn die Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSA gA) genutzt?

Einhaus: Die PSA gA ist meistens in ordentlichem Zustand und wird von den Mitarbeitern auch eingesetzt. Trotzdem haken die Monteure aber vielfach ihre Karabiner nicht in die Anschlagpunkte. Wer will sich schon gerne anbinden lassen? Der Mensch ist das Problem, der die Anschlagpunkte nicht nutzt.

metallbau: Bei welchen Mängeln wird denn die Baustelle stillgelegt?

Einhaus: Seilen sich die Monteure nicht an, ist das ja in relativ kurzer Zeit abzustellen. Ein Tag, zwei Tage später wird dann noch mal geprüft und der Fall sollte erledigt sein. Funktionieren Hängegerüste nicht oder fehlen Auffangnetze, geht schnell mal eine Woche ins Land.

metallbau: Bei welcher Windstärke muss der Baustellenbetrieb eingestellt werden?

Einhaus: Fast jeder Kran ist mit einem Windmesser ausgestattet, es gibt Grenzen zwischen 4 und 6 Beaufort. Bei den Messungen geht es um die Höhe über Grund und die Dimension der Bleche oder Fassadenelemente. Die großen Fassadenelemente sind gefährlich, in diesem Bereich geht es um Gewichte zwischen 400 und 1.300 kg. Wenn diese vom Wind erfasst werden, kann es erhebliche Unfallrisiken geben. Jeder Bauaufsichtführende hat in seiner Gefährdungsbeurteilung stehen, bei welcher Windstärke er den Betrieb einstellen muss.

metallbau: Bringt die europäische Harmonisierung denn auch für die UVV eine Änderung?

Einhaus: Im Moment gibt es die Bestrebung, die Höhen, die Sicherungsmaßnahmen erfordern, herunterzusetzen. Die hohen Unfallzahlen und das damit verbundene Leid haben nachdenklich gestimmt. In Kürze wird das europäische Maß von zwei Metern Einzug halten. Nach einer EU-Richtlinie gelten dann bei Dacharbeiten statt drei Meter Absturzhöhe zwei Meter, und im Fensterbau statt fünf Meter zwei Meter. Ich halte das für sinnvoll, weil die Menschen ab einer gewissen Höhe sich nicht mehr drehen können und somit häufig auf den Kopf fallen und es so schnell zu schweren Verletzungen kommt. Diese Änderung wird auf den Baustellen etwas bewegen. Die Gefährdungsbeurteilung und die dadurch beeinflussten Leistungsverzeichnisse werden dann merklich anders ausfallen.

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